Schreckensbeispiele in Deutschland

Kursdorf bei Leipzig

Dorfleben am Flughafen Leipzig


Kein schöner Land



Quelle: Google Earth vom 16.11.2007
Quelle: Google Earth vom 16.11.2007

6-spurige Autobahn (A14 Leipzig - Halle) bei Kursdorf



Quelle: Google Earth vom 18.11.2007

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Flugzeuge, Autos, Schnellzüge: Der sächsische Ort Kursdorf droht bald vom Verkehr verschluckt zu werden. Und verliert immer mehr Einwohner.
Von Christiane Kohl
Der expandierende Leipziger Flughafen schnürt die nunmehr noch 70 Einwohner von Kursdorf von Jahr zu Jahr mehr ein.

Foto: Seyboldtpress

Erdbeerpflanzen stehen im Garten, ein gescheckter Hund springt über den grünen Rasen. Horst Häcke steht am Gartenzaun und sieht keinen Grund zu klagen: "Wir wohnen hier eigentlich ganz gut", sagt der 76-Jährige und hebt den Arm wie zum Schutz über seinen Kopf: "Der Schall zieht doch über uns hinweg."

Hinter dem kleinen Häuschen, in dem der Rentner und seine Frau leben, steht eine riesige dunkelgraue Lärmschutzwand. Dahinter hört man Maschinen heulen, die Erde scheint zu beben vor lauter Krach. Häcke lässt sich davon nicht ablenken: "Die Eisenbahn da drüben, die ist viel, viel lauter", sagt er, während es plötzlich feine Tröpfchen vom Himmel regnet und ein süßlich bitterer Geschmack die Zunge belegt - das kommt vom Kerosin.


Der Ortsvorsteher ist traurig

Häcke nimmt auch das nicht weiter wahr. Er erzählt von einem Besuch bei seinem Schwager, der an der Eisenbahn wohnt: "Wegen dem Lärm der Züge habe ich dort die ganze Nacht nicht schlafen können."

Die Fluggeräusche vor seinem kleinen Häuschen aber hört der Rentner schon gar nicht mehr: "Ausziehen wollen wir jedenfalls nicht", sagt der alte Herr. Häcke und seine Frau gehören zu den letzten Bewohnern, die in Kursdorf geblieben sind. Viele andere haben den Ort, der im Westen von Leipzig liegt, in den letzten Jahren verlassen. Denn das Wohnen in Kursdorf ist "nicht mehr lebenswert", wie der Ortsvorsteher Thomas Knauf sagt.

Das hängt mit dem Verkehr zusammen, der die kleine Gemeinde wie ein gewaltiges Meer aus Lärm und Gestank umspült: Da zischt, kracht und heult es von Flugzeugen und Autos, Züge rattern und allerorten blinken rote Kontrolllampen, selbst in der Nacht. Im Norden von Kursdorf lärmt die Autobahn Dresden - Magdeburg, über die täglich 55.000 Autos rollen; etwas weiter südlich verläuft die vielbefahrene Eisenbahnstrecke zwischen Halle und Leipzig.

Überall sonst hat sich der Flughafen ausgebreitet, dessen stark anwachsende Infrastrukturbauten - Landebahnen, Frachtgebäude, Passagierhallen, Zulieferbetriebe - das kleine Dorf Jahr für Jahr immer enger einschnüren und von der Außenwelt abkapseln.

Bis zum Nachbarort Glesien fuhr man von Kursdorf früher drei Kilometer, berichtet der Ortsvorsteher Knauf: "Jetzt sind es 13 Kilometer." Auch zur Stadtverwaltung von Schkeuditz, dessen Ortsteil Kursdorf ist, braucht man jetzt doppelt so lang. Der Weg führt unter eine Asphaltbahn hindurch, über welche die Flugzeuge rollen.


Keinen Bäcker, keine Schule, keine Post

Aber nicht nur geographisch ist der Ort mehr und mehr abgeschottet: Schon wurde die Lieferung des Amtsblattes nach Kursdorf eingestellt, die letzte Kneipe im Ort machte im Jahr 2002 dicht, und nun soll die freiwillige Feuerwehr in Kursdorf auch noch ihren Spritzenwagen abgeben - weil es zu wenig Feuerwehrleute dort gibt. Mittlerweile leben noch an die 70 Bewohner in dem Ort, einst waren es um die 300. Es gibt keinen Bäcker, keine Schule und keine Post, viele Häuser haben leere Fensterlöcher - nur die trutzige alte Wehrkirche steht noch mitten im Dorf.

Mit dem Flughafen hat Kursdorf schon lange zu tun. 1927 war die erste Start- und Landebahn gebaut worden, 1937 wurden bereits 40 Starts am Tag gezählt, zu DDR-Zeiten landeten in den achtziger Jahren sogar Concorde-Maschinen in Leipzig-Halle. Heute werden etwa 2,4 Millionen Passagiere im Jahr durchgeschleust, von der Kapazität des Flughafens her könnten es noch doppelt so viel werden.

Bei den Ausbaumaßnahmen zu DDR-Zeiten hatte man sich ums Privateigentum nicht geschert, nach der Wende mussten daher viele Altbesitzer entschädigt werden. Doch mittlerweile tut sich die Flughafenadministration schwer mit Zahlungen an die gebeutelten Bewohner: "Wir haben eigentlich keinen Platzbedarf", behauptet Flughafensprecher Uwe Schuart, "aber natürlich sind wir ein Ansprechpartner, wenn jemand etwas verkaufen will."


Die Blumen verwelken

"Keiner spielt hier mit offenen Karten", sagt der Ortsvorsteher Knauf. Auch die Knaufs würden gern aus Kursdorf weg. Dabei hatten sie sich nach der Wende mit viel Fleiß eine neue Existenz aufgebaut. Schon zu DDR-Zeiten betrieb Vater Joachim Knauf, 69, hier eine Gärtnerei - "er hat stets der Verstaatlichung getrotzt", sagt Sohn Thomas, 45. Nach der Wende wurde es dann richtig schwierig: Für den neuen Markt schien die Gärtnerei zu klein.

Die Knaufs retteten sich mit einer Nischenpflanze: Streptocarpus, eine dem Usambaraveilchen ähnliche, sehr schwer zu kultivierende Zimmerblume - "wir sind der Marktführer im Osten", berichtet Knauf. Vor Ort auf den Gärtnerhof freilich kommen immer weniger, um Blumen zu kaufen, "allein gegenüber dem letzten Jahr ging der Verkauf um die Hälfte zurück", sagt Knauf. Trotz aller Findigkeit ist eben auch die Gärtnerei ein Opfer der Abschottung.

Quelle:(SZ (Süddeutsche Zeitung ) vom 12.11.07/cag)